Leichtathletik in Ahlen: Die olympische Königsdisziplin zwischen Erfolgen und Innovation
Zusammengestellt 1998 von Dieter Massin
Die unvergessenen Fünfziger
Belebt durch zahlreiche Vereine fand man in den 50er Jahren die Leichtathletik - Szene in Ahlen vor: Sportfreunde Wacker 20, SSV Westfalia 05/06, SuS Blau-Weiß, TV Einigkeit, Turngemeinde Ahlen und TuS Ahlen. Jeder Verein mit Leichtathletik-Abteilungen unterschiedlichsten Niveaus, alle aber bestrebt, der olympischen Königsdisziplin zu "dienen". Und so rankten sich denn auch um diese Vereine mit ihren Leichtathletik-Anhänger die Funktionsträger wie Ernst Bornemann, Heinz Willmes, Franz Scheffer, Adolf Ledwohn, Fitti Vennemann und Willy, der "Alte", Massin.
Stadtsportfeste auf der Jahnwiese, rund um den Feuerwehrturm, bildeten Jahr für Jahr Höhe-punkte; der Wettstreit um das Banner der Stadt Ahlen im Jugend- wie im Erwachsenenbereich war erklärtes Saisonziel der Leichtathleten. Die Startlöcher wurden noch in die Aschenbahn "gebuddelt", der Hochsprung über die Dreieckslatte vollzogen, der Schlagball landete mitunter jenseits der Hecke auf den Ausläufern der Sedanstraße.
Einen neuen Trend in der Leichtathletik-Bewegung leitete das Vereinsjubiläum des SSV Westfalia 05/06 ein; zum 50 - Jährigen hatte "Fitti" Fritz Vennemann Ideen parat, die den Vereinsvorsitzenden Heinz Altgott begeisterten.
Und so belebte plötzlich die Konkurrenz das Geschäft. Die Leistungen zogen an, Teilnehmer aus Ahlen waren wieder bei den Landesmeisterschaften zu finden, Fanny Teske und Klaus Kuhlmann "fuhren" als Erste Plazierungen und Siege bei diesen Westfalenmeisterschaften ein. Die Zeiten um die Sprint-Gebrüder Kras wurden eingeholt durch neue Erfolge Ahlener Athleten. Heinz Jächter (sein Dreisprung-Rekord aus dem Jahr 1958 hat heute immer noch Bestand), Heinz Frielinghaus, Werner Henke, Rainer Honscha (aus den Reihen von Wacker 20) lieferten sich packende Duelle mit den "Neuen" des SSV Westfalia, allen voran Peter Kovarik, Helmut Mrosek, Manni Glaser und Rolf Massin.
Und schließlich war es wiederum eine Idee der SSV-"Manager", Fitti Vennemann und Willy, der "Alte", Massin, die mit Fahrten ins Ausland eine neue Ära in der Ahlener Leichtathletik einleiteten. Vergleichskämpfe mit Vereinen aus Rotterdam (Metro Rotterdam), Halle (HSG Wissen-schaft Halle), Leuna-Merseburg (BSG Chemie Leuna) riefen Interesse hervor in der Bevölkerung und brachten dem SSV Westfalia in wenigen Jahren eine "marktführende" Position in Ahlen ein.
Im Sinne der Völkerverständigung setzten dann Fahrten nach Frankreich (Uni Dijon, Stade Narbonnais) und Schweden (IK Pallas Malmö, IK/IF Skelleftea) weitere Glanzlichter und erhöhten das Interesse an der Leichtathletik in Ahlen.
Erfolge auf Kreis- und Landesebene waren die zwangsläufige Folge; die Motivation erhielt einen weiteren Schub, als mit Karl Kreienfeld ein Trainer gefunden wurde, der, selbst zum "Stamm der Idealisten" gehörend, die Ahlener Leichtathleten auf Vordermann brachte.
Die erfolgreichen Sechziger
Mit "Vater" Karl Kreienfeld kam nicht nur der Erfolg in die Ahlener Leichtathletik-Szene, die geprägt war durch Athleten wie Bernd Linnemann, Bernd König, Fred Skerbis, Wolfgang Arnold, Willy Mühlnikel, Dieter Wohlgemuth, die alle irgendwann einmal auf dem Treppchen einer Landesmeisterschaft standen. Egal, ob als Einzelstarter oder in der Mannschaft. Das weinrote Trikot mit dem "SSV" war aus der westfälischen Leichtathletik-Szene nicht mehr wegzudenken.
Doch neben den Erfolgen wuchs in Ahlen ein zweites Standbein der Leichtathletik heran: die Leichtathletik-Sportfeste. Die Jahnwiese war zwischenzeitlich "out", der Um- und Ausbau des Lindensportplatzes ermöglichte es, Gäste nach Ahlen einzuladen, die im Spätsommer sich bei den "Ahlener Bahnwettkämpfen" maßen. Ahlen legte den Grundstock zur Veranstaltungshochburg, die in den kommenden Jahren immer größere Ausmaße annahm.
Erster Höhepunkt auf dem Lindensportplatz war eine "inoffizielle" Westfalenmeisterschaft: die Meisterschaft der B-Jugend. Hans-Dieter "Küss" Flohr und Dieter Massin hatten sich diese neue Form der Meisterschaften "ausgedacht" und Ahlen als Austragungsort ins Spiel gebracht. Was die beiden SSV-Organisatoren damit auslösten, konnte damals noch nicht abgesehen werden. Absehen konnten beide auch noch nicht, dass die Siegerin im 100 m Lauf der B-Jugend, Annegret Irrgang vom TV Teutonia Lanstrop, später einmal Olymiasiegerin wurde. Dann unter dem Namen Annegret Richter. Und absehen konnten Flohr/Massin auch nicht, dass diese Annegret Irrgang (Richter) auf genau dieser Bahn elf Jahre nach der Westfälischen B-Jugendmeisterschaft mit 11,0 Sekunden die schnellste 100 m Zeit einer weißen Frau auf der Aschenbahn erzielte.
Und im gleichen Jahr war Ahlen Austragungsort der westfälischen Waldlaufmeisterschaften, die über 1000 Athleten, von mehr als 3000 Zuschauern angefeuert, sahen. Unter ihnen ein Athlet aus Telgte, der souverän seinen Lauf durch den Ahlener Stadtwald gewann. Auch er, dieser Sieger in Ahlen, konnte - wie später Annegret Richter - olympische Ehren vorweisen: Harald Norpoth. Ein Jahr zuvor hatte er in Tokio olympisches 5000 m - Silber geholt und für den Zuschauer-Boom in Ahlen gesorgt.
Doch die Ahlener Kampfrichter, damals von Paul Neumann schon souverän geleitet, ließen nichts anbrennen und legten einen soliden Grundstein für die spätere Arbeit bei hochklassigen Meisterschaften in Ahlen.
Die Siebziger im Zeichen der Abendsportfeste
Die Erfolge der Organisation, die Erfolge der Athleten machten Mut. Immer mehr nationale und internationale Größen fanden sich in Ahlen ein. Die „Ahlener Bahnwettkämpfe“ mussten weichen: im Zweijahres-Rhythmus gab sich die internationale Leichtathletik-Szene in Ahlen ein Stelldichein beim Abendsportfest. Diskus-Weltrekordlerin Liesel Westermann machte den Anfang und zog Zuschauer in den Bann, weitere Weltrekordler und Olympiasieger folgten, bis dann 1976 weit über 4000 Zuschauer das bisher größte Highlight in Ahlen erlebten: Diskus-Olympiasieger Mark McWilkins, war auf dem Ahlener Aschenplatz genauso anzutreffen wie Stabhochsprung-Olympiasieger Tadeusz Slusarski und 100-Meter-Olympiasiegerin Annegret Richter. Dazu kamen Weltrekordler wie Dwight Stones (Hochsprung) und Al Feuerbach (Kugel). Der Lindensportplatz erlebte Leichtathletik von der! leistungssportlichsten Seite.
Auf dem Sektor des Breitensports machte sich zum gleichen Zeitpunkt Anton Doodt einen Namen mit seinen Volksläufen an der Ponystation und mit dem Werselauf. Zu den Leistungsträgern in der Ahlener Leichtathletik-Szene gesellten sich nun Breitensportler, die vor allem beim Lauf-Treff in der Langst ihre Heimat fanden. Bis heute noch, trotz zwischenzeitlicher Absage des Citylaufs, erneuert durch den Volkslauf „Rund um die Wibbelt-Kapelle“ und den Ahlener Staffellauf.
In der Zwischenzeit hatten die Ahlener Leichtathleten mit dem TuS 01 Heessen eine Fusion zur LG Ahlen-Heessen eingegangen, die nach fünf Jahren Bestand zerfiel und nur kurze Zeit später in der LG Ahlen-Hamm für weitere fünf Jahre ihre Fortsetzung fand.
Die Erfolge, vor allem auf nationaler Ebene, nahmen zu, angefangen bei Thomas Steiner, der als Schüler zu Beginn der 70er Jahre als erster Ahlener den Titel eines Deutschen Meisters in die Wersestadt brachte (100-Meter-Sieger bei den Schülern in 11,3 Sekunden in Koblenz). Fortgesetzt wurden die Erfolge durch die Ahlener Stabhochspringer, die national in allen Altersklassen mitmischten und in Hans Brinkrolf (4,90 m) und Hans-Dieter Steinbuss (4,72 m) ihre herausragendsten Athleten hatten. Schließlich war es Christian Thomas, der über Jahre die nationale Szene im Weitsprung im Jugend- und Erwachsenenbereich beherrschte und 1987 als Bronzemedaillen-Gewinner bei den Hallen-Europameisterschaften in Lievin (Frankreich) mit 8,13 m seinen größten internationalen Erfolg errang. Im Umfeld von Christian Thomas schrieben Rainer Krimphove, Dirk Glaser, Andreas Schulze, Frank Fröhlich manchen Erfolg auf ihre Fahnen.
Die Achtziger mit Hochs und Tiefs
Erfolge verwöhnen; nach den „fetten“ Jahren kamen die „mageren“. Dieses war bald feststellbar in Ahlen und Hamm. Die zweite LG-Ehe ging in die Brüche. Der Versuch, in Ahlen durch Professionalität die Erfolgskurve weiter steil zu halten, scheiterte. Aus Amateuren können nicht im Handumdrehen Profis werden. Trotz Hauptamtlichkeit. Die Leichtathletik-Szene in Ahlen rutschte ab.
Dieter Bartsch, Gerd Rega, Jürgen Damberg, Harry Günther brachten sich ein und prägten das Leichtathletik-Umfeld in Ahlen. Namen kamen und gingen auch wieder.
Auf dem Sektor der Veranstaltungen hatte Ahlen eine neue Bühne bekommen: das Stadion im Sportpark Nord. 1982 sogleich Austragungsort einer (der ersten!) deutschen Meisterschaft. Im Gehen. Versehen mit einem Höhepunkt ganz nach dem Geschmack der Ahlener: die LG-Geher um Rudi Heising, Manfred Kreutz und Frank Degelmann wurden Deutscher Meister im 20-Kilometer-Gehen der Junioren. Die LG Ahlen hatte neben den Stabhochspringern mit den Gehern ein weiteres Aushängeschild bekommen.
1983 schlossen sich die Deutschen Crossmeisterschaften auf dem Gelände der Bundeswehr an. Bei Regen und Matsch. Unter den Siegern - wie damals Annegret Irrgang auf dem Lindensportplatz - ein namenloser Jugendsieger. Aus dem Schwäbischen kommend. Neun Jahre später stand dieser Jugendsieger von Ahlen im Rahmenlicht der Weltöffentlichkeit, als er in Barcelona bei den Olympischen Spielen über 5000 m die gesamte afrikanische Langstreckenelite düpierte: Dieter Baumann.
1984 kam dann die Regenschlacht bei den Deutschen Mehrkampfmeisterschaften, die beim Zehnkampf dann das vorzeitige Aus signalisiert bekamen. Ahlen bekam den Titel als Meisterschafts-Regenloch. Zum Ärger der Organisatoren, die immer top waren, immer mit Neuigkeiten operierten, die im Sinne der Athleten und der Sportart Leichtathletik ausgelegt waren.
Und so tauchte eine Variante wieder auf, die schon in den 60er Jahren ihren Ursprung hatte: die Innovation, die Gestaltung von Veranstaltungen „pro“ Athlet.
Die erste Blüte innovativen Denkens, die Mammutiade, kam für manche noch zu früh und zerfiel nach internen Differenzen; die nächsten Blüten hatten Bestand und vor allem verantwortungsbewusste Väter, die die Sache Leichtathletik engagiert im Visier hatten. Kurzlebig war auch das Hochsprung-Meeting der Frauen auf dem Kunststoffplatz neben dem Stadion, das Jürgen Blüthgen und Christof Kelzenberg aus der Taufe gehoben hatten. Stefka Kostadinova und Heike Henkel brachten den Stadionrekord erstmals über 2 Meter.
Die innovativen Neunziger
Mit dem Jedermann-Zehnkampf hatten dann die Ahlener Organisatoren wieder ein Aushängeschild neben den schon mehr als 15 deutschen Meisterschaften. Mit dem Breiten- und Wettkampfsportangebot des Jedermann-Zehnkampfs hatten Ahlener Athleten jetzt endlich auch die Möglichkeit, sich im heimischen Stadion mit Sportlern aus Nah und Fern zu messen. Die Latte, dieses nämlich auch bei den Meisterschaften im Ahlener Stadion zu tun, liegt zur Zeit noch zu hoch. Trotz der neuen Impulse, ausgelöst durch den LAC, fortgeführt durch die "neue" LG, die mit Ralf Gosda einen soliden und engagierten "Motor" hat, der sich (immer noch selbst aktiv) bemüht, mit Stefan Schwenke und Peter Wechler, dem erfolgreichsten Ahlener Senioren-Langstreckenläufer, im Laufbereich neue Akzente zu setzen.
Seit sechs Jahren bilden Rekordzahlen beim Ahlener Zehnkampf immer neue Anreize, wenngleich die "Macher" um Christof Kelzenberg, Rudi Heising, Dieter Massin und Anne Ronig "cool" bleiben und "Null Problemo" haben.
Bis hin zum Leichtathletik-Weltverband, der IAAF, in Monte Carlo ist der Ruf des Ahlener JEDERMANN-ZEHNKAMPFs gedrungen. Mona Steigauf steht in der inoffiziellen Weltrekordliste beim Frauen-Zehnkampf ganz vorn, erzielt in Ahlen. Da - wie so schön von DLV-Vertretern formuliert wurde -, wo der Mehrkampf zu Hause ist.
Doch nicht nur auf dem Sektor Vereinssport hat sich in Ahlen Leichtathletik entwickelt oder gar Geschichte geschrieben. Im Schulsport hat sich in den letzten zehn Jahren auf dem Leichtathletik-Sektor viel Neues gestaltet. Immer war Ahlen Ursprungsort, ob beim Bundeswettbewerb der Schulen, ob bei den Bundesjugendspielen. Leichtathletik in der Vielfalt, mit und ohne Leistungsdruck, mit neuen Geräten, mit neuartigen Wertungssystemen. Immer wieder liest man in diesem Zusammenhang den Qualitätsvermerk "Made in Ahlen!"
So wie auch bei einem "Import" aus England, der in Ahlen "kontinentgerecht" gemacht wurde und für positive Furore in der Szene sorgt: "fun in athletics". Ein Wettkampf, der Kinder an die Leichtathletik heranführen soll; als Ergänzung zu den leistungsorientierten Angeboten, die leider immer wieder zu früh den Nachwuchs zu Spezialisten werden lassen, zumal wenn die Grundlagen vorher nur oberflächlich geschult werden. "Fun in athletics" hat - ausschließlich durch Ahlener Initiative - mittlerweile in 30 Städten Deutschlands über 3000 Kinder und über 1000 Übungsleiter und Sportlehrer erreicht, die verstanden und eingesehen haben, dass Leichtathletik nicht nur aus Messen, Stoppen und Leistungsvergleich besteht.
Projekt „Leichtathletik 2000“
Für hochtrabende Werbeslogans ist kaum Platz bei den Leichtathleten rund um den Sportpark Nord. Jahresziele werden realistisch formuliert, Veranstaltungen solide und veranwortungsbewußt geplant, Neuerungen liegen in der Schublade.
"Urgesteine" wie Ernst Veit, Hannes Disselkötter, Kurt Bork, Eberhard Vollmer und Dieter Massin werden auch im fünften Jahrzehnt ihrer Tätigkeit für die Ahlener Leichtathletik noch im Stadion zu finden sein und werden miterleben, dass diese olympische Sportart weiterhin von ihren Erfolgen und der Innovation leben wird.